Dentler-Preis an Stadtreinigerin Erika Klapproth

Werte Adepten,

mittlerweile – nach 4 Jahren – fühle ich mich hier auf dem Thron schon fast heimisch. Die Sicht auf so viele Menschen ist faszinierend. An die Männer die jetzt enntäuscht sind, nicht die Leiter halten zu dürfen. Ich hab vor noch weitere Jahre hier rauf zu steigen. Es gibt also noch Chancen!

Liebe Adepten, schaut euch an, schaut euch in die Augen, ja, jetzt du, schau dich links und rechts um, schaut unsere Stadt an… diesen Platz. Geht’s uns nicht gut?

Ja! Uns geht’s gut! Hat sich was verändert hier? Nein! – Oder doch? Aber seht genau hin, hinter die Fassaden, hinter unsere Stadtmauern, hinter die Fassade der Dentler-Schmiede – auch hinter unsere Augen, hinter unsere eigene Fassade. (Pause) Wandel muss nicht immer von außen sichtbar sein.

Wer sind wir Ulmer? Was zeichnet uns aus? Welchen ureigenen Charakterzug haben wir? Wandeln auch wir uns? Beständigkeit – ein trefflicher Wesenszug. Seit rund 600 Jahren treffen wir uns am Schwörmontag um doch letztlich zu feiern, dass wir alle gleich sind. Unbedeutsam sind Stand, Titel, Geld, wenn es doch um’s Recht geht.

(Und) Rechtschaffen sind wir. Bemüht, dass alles seine Ordnung hat, dass auch die ungeschriebenen Gesetze für jeden gelten – für jeden, wer immer er auch sei, was immer er auch hat, woher er auch kommen mag. Hat sich nicht heute wieder unser Oberbürgermeister dafür verbürgt, dass er als erster Mann unserer Stadt, als Vorbild, allen gegenüber weiterhin ein rechter und gerechter Mann sein wird?

Wir geben hier aufeinander Acht, zum Beispiel dass niemand Müll einfach auf die Wiese wirft, dass der Müll auch getrennt wird. Diese Mülltrennerei soll uns erst mal einer nachmachen. Wir haben mittlerweile 4 Tonnen. Die Neueste ist blau.
Wir haben ja auch nur eine Umwelt – oder soll ich sagen: Nur diese eine Welt? Auch in Ulm nur EINE Umwelt. Dazu gehört es sicherlich auch, nicht unnötig Licht brennen zu lassen, nicht unnötig Energie zu verschwenden. Geiz, ja, der wird uns hin- und wieder auch nachgesagt. Aber vielleicht könnten wir die nicht gebrauchten Lichter einfach der Umwelt zuliebe ausschalten und nicht des Geldbeutels wegen. Wir achten hier in Ulm auch darauf, dass niemand sein Auto im Parkverbot abstellt.

Aber blicken wir hinter die Fassaden, auch hinter die Fassaden von Regeln. Sinnvoll ist es doch auch immer Regeln zu hinterfragen. Das lehrt uns die Geschichte! Starre Regeln verhindern, dass wir uns weiterentwickeln, dass wir etwas verbessern können. Starre Regeln bedeuten Stillstand – leicht übertretbare Regeln bedeuten Chaos. Es ist der so schwer auffindbare Mittelweg. Regeln, die hinterfragbar sind. Und die gibt es in Ulm! Und die gibt es auch in Bezug auf Parkplätze in Ulm!

Vielleicht kennt ihr ihn, den alten Philosophen, der seit 40 Jahren zu sich einlädt. Studenten, Musiker, Professoren und auch die ganz Einfachen mit Wein und den immer gleich guten Speisen versorgt. Vor den Gleisen steht die Tür in seine Welt offen.

Auf der Straße schon hört man manchmal die mal spaßenden, mal klagenden Melodien seiner Ziehharmonika. Drinnen sieht man ihn häufig die Welt mit einem Wörterbuch auf Griechisch erklären. Von Parasco ist die Rede. Von Parasco dem Griechen hier in Ulm.

Ein Regelwerk der Stadt hatte es seinen Gästen vor Jahren schon schwer gemacht: nur noch Anwohner durften ihr Auto abstellen, in den Straßenzügen, die dann doch immer leer standen. Wie dann auch sein einmaliges Lokal. Es war ein hinterfragbares Regelwerk, sieben Jahre lang hat vor allem der über 70jährige Parasco die Anwohnerparkvorschrift hinterfragt. Konnten nicht einige von den stets leeren parkplätzen für seine Kunden freigegeben werden? Dieses Jahr, endlich, dürft ihr wieder in der Wilhelmstraße vor einer der denkwürdigsten Gaststätten von Ulm parken und für ein paar Stunden einen großen griechischen Philosophen in Ulm erleben – auch ohne Strafzettel.
Es heißt ja Griechen und Türken seien unversöhnlich. Weit gefehlt in Ulm! Besonders ein Türke geht gerne bei dem Griechen Parasco ein und aus… Und er, der Grieche, bewirtet ihn, den Türken, gerne… Aber Moment? Ist es wichtig zu sagen, dass es ein Grieche und ein Türke sind, die sich verstehen? Erst Minuten ist es her, dass ich gesagt habe: in Ulm ist es egal, was jemand ist, was er hat und woher er kommt…? Kratzt am Putz, an der Fassade, wieder ist es die Fassade!
Ist es wirklich egal?
Schaut euch um, schaut einander in die Augen!

Ja, dir dort unten ist es egal, ob der links neben dir aus Russland, Italien, Cottbus oder München kommt.
Euch da unten ist es vielleicht egal. Aber nicht dem gesellschaftlichen Regelwerk!
Wir und die Gesetze sind lange auf dem gleichen Nenner: wenn jemand unsere Traditionen mit hochhält, wenn jemand unsere Sprache spricht, wenn jemand unsere Einstellung teilt: nämlich, dass man für seine Butter aufs Brot arbeiten geht und sich auch an die ungeschriebenen Gesetze in Ulm hält, dann gehört er ja wohl dazu! Nein, leider, dann gehört er noch lange nicht dazu, wenn er einen türkischen Namen träg. Dann ist und bleibt er auf dem Papier Türke. Auch wenn er Schwäbisch spricht. So jemand bekommt hier vielleicht einen Studienplatz – aber danach nicht unbedingt einen Job. Der Name bleibt, und damit bleiben auch die Vorbehalte. So jemand bekommt auch nicht automatisch einen deutschen Pass. Der schwäbelnde Türke wird hier nie wirklich ankommen können ohne uns, uns, die WIR ihm die gleiche Chance geben, wie jedem anderen auch. Wir schreiben es uns doch auf die Fahnen, heute, am Schwörmontag: jedem gegenüber ein rechter und gerechter Ulmer zu sein!

Kennt ihr den Lateinischen Ausspruch „pars pro toto“? Dieser einer Türke war nur EIN Beispiel für viele Ulmer, die ursprünglich von überall her auf der Welt kommen und vor den genau gleichen Hürden stehen wie dieser eine, von dem ich euch eben erzählt habe.
Viel passiert also hinter unseren Fassaden, hinter unseren Stadtmauern – auch ohne, dass wir es täglich sehen, täglich wahrnehmen, täglich hinterfragen oder auch täglich schätzen! Bitte schaut euch um!
Ist es nicht schön? Ist es nicht sauber, aufgeräumt – ja, gut, heute vielleicht … am Schwörmontag nicht… Zehntausende sind unterwegs, das hinterlässt Spuren… Aber morgen, ich versprech’s euch, morgen sieht’s wieder so aus wie immer.
Selbstverständlich sieht’s dann so aus wie immer. Selbstverständlich? – Nichts ist selbstverständlich!

Musik

Preisverleihung an Stadtreinigerin Erika Klapproth

Mein Tag als Stadtreinigerin:

Ich dachte mir: wenn jemand von uns einen Preis bekomt, muss ich auch wissen was er zu leisten hat.
Was in diesem Jahr bedeutet. Stadtreinigern!
Letzten Dienstag wurde ich morgens um 7 mit orangenen Klamotten und Sicherheitsschuhen eingekleidet. Röckchen und flipp flopps kamen in die Kiste und schon hatte ich den Kehrwagen in der Hand.
Schon seit Jahren hab ich mich gefragt, wo der ganze Müll hinverschwindet, der in den karren kommt. Wieviel Papiekörbe es in ganz ulm gibt und warum sie mittlerweile mit dächern versehen sind.

Ich weiss jetzt wieviele Cheesburger nicht geschmeckt haben, wievel abgetragene Schuhe vor deichnamm im Müll landen und wo sich die meisten aucher treffen. Auch Tastaturen sind keine Seltenheit.
Wagen hinstellen, bücken, Papierkörbe wuchten, Besen und Schaufel (die im Übrigen größer war als ich) zu koordinieren. Knochenarbeit. Muskelkater garantiert.
Das war nur ein Tag im Sommer. Aber Winter und Nachtdienste sind nicht zuvergessen.
Erst vor einer Woche war bei der Ebu Weihnachsfeier, da im Winter keine zeit bleib. Ich habe Geschichten gehört, die mich bis heute böse stimmen.
Kann es wahr sein, dass es zur regel gehört, das ein Fahrer der Müllabfuhr bespuckt wird, nur weil das gegenauto nicht binnen von sekunden dranvorbei fahren kann. Oder die Sache mit dem Winterdienst, der einer 80-Jährigen Frau mit seinem Pflug einmal die Einfahrt freiräumte und dafür einen Beschwerdeanruf kassierte. Von einem 35-jährigen Nachbarn gegenüber. Er wollte das gleiche Recht. Fazit, das menschliche Miteinander wird abgeblockt. Anrufe bei der Zentrale, das ein Kollege schon seit 10 Minuten beim Bäcker einen Kaffee trinkt, sind die Regel. Sätze wie: Leute in Orange haben kein Gesicht auch. Wehren dürfen sie sich alle nicht, das ist Pflicht.
Bestimmt gibt es auch Positives, z.b. wenn eine Oma schon mit der Tafel Schokolade winkt, wenn die Müllabfuhr naht.
Ich auf jeden Fall bin stolz drauf, dass ich einmal mitarbeiten durfte und es ist mir eine Ehre, dass jede Abteilung mir angeboten hat, einmal bei ihnen mitgehen zu dürfen.

Musik

An dieser Stelle sind Sie einen Gedankenaustausch gewohnt.

Was ist Kunst? 
Liebe Adepten, können Sie’s mir beantworten, können Sie sich’s beantworten? 
Was ist Kunst? – Schwierig! 
Was ist ein Künstler? – Noch schwieriger! 
Wer darf sich’s anmaßen eine ewig gültige Definition zu behaupten? 
Wer darf sich’s anmaßen, darüber wirklich zu urteilen, vielleicht zu verurteilen (seit einem Jahr mache ich mir geadanken darüber)?

Versuchen wir wenigstens eine bescheidene Annäherung: Der geneigte Kunstkenner möchte behaupten, dass Kunst halt neu, ausgefallen, provokant, chic, gesellschaftstauglich angesagt ist, auch eine Geldanlage. So eine Kunst darf auch kosten, sehr viel kosten und je mehr es kostest – desto mehr ist es wert! Künstlerisch wert? künstlerisch wertvoll? So ein Kunstwerk kann, muss aber nicht schön sein. Schönheit war mal in einer Epoche angesagt. Sind wir ehrlich: diese Epocheneinteilungen – waren sie den Künstlern jemals in ihrem Schaffensprozess wesentlich? – Nein, die Epocheneinteilungen sind Hilfsschablonen für uns, aber auch für die geneigten Kunstkritiker, um im Nachhinein die Strömungen, Gärungen, Themen und Neuerfindungen der Ausdrucksformen fassbar zu machen. Die Zeit der Epochen scheint vergangen – jeder braut hier sein eigenes Süppchen. Aber wer weiß, vielleicht fällt den Kunsthistorikern der Zukunft auch für unsere Zeit mal ein Name ein. Ein Name für ein Meer an Künstlern, für eine Flut, nein, eine ganze Schwemme an Künstlern. 
Kann denn die Welt überhaupt so viele Künstler, so viel Kunst verkraften?

Kunst, wagen wir doch noch mal ohne die geneigten Kunstkenner (von denen es übrigens auch plötzlich so viele gibt) eine vorsichtige Annäherung. Kunst, ganz gleich in welchem Genre, entsteht durch einen inneren Prozess, einen unbedingten Ausdrucksimpuls. Ausgelöst durch die Voraussetzungen der Zeit, der Umgebung. Ausgelöst auch dadurch, die Begebenheiten hinterfragen zu müssen, am Putz kratzen zu müssen, an den Fassaden rütteln zu müssen. Das Gewohnte wird durch die Infragestellung in ein neues Licht gerückt, entrückt, verrückt. Den Betrachtern, den Lesern, den Zuhörern, den Zuschauern schenkt die Kunst einen Blickwinkel auf das Neuformierte, so als könnten sie durch andere Augen, durch die Augen des Künstlers vielleicht, das nur scheinbar Gewohnte neu betrachten. Kunst ist so gesehen immer auch eine Bereicherung, Kunst bewegt, Kunst fordert auch – nämlich den Geist, die Seele, das Denken. Kunst kann anstrengend sein. Vielen zu anstrengend. Mühsam mag die Auseinandersetzung mit Kunst mitunter sein – aber es lohnt sich. Bei wirklicher, bei echter Kunst.
Liebe Adepten – Sie ahnen’s vielleicht. Ich möchte jetzt nicht nur auf die Fassade hauen, sondern auch auf den Putz! Hier war mal Kunst. Hier in Ulm war mal die Kunst Zuhause. 
WAR! 
Die Kunst muss wieder zurück nach Ulm! Gerade geht sie, die Kunst, Nabada, weil sich jeder des Titels „Künstler“ anmaßt. Das bedeutet einen Werteverfall, einen Missbrauch des Wortes an sich!

Lassen Sie sich von mir ein eigenes Erlebnis schildern. 
Ich wurde auf ein so genanntes Künstlertreffen eingeladen. Mit anwesend waren Schablonenmaler, im Stillstand befindliche Tragiker, Wortwiederkäuer, Klangpantscher – so genannte Eklektiker – …ey, das ist keine Krankheit, das ist der pure Ernst und das ist allen Ernstes ein Künstlerteff. 
Ich frage euch: Was ist da meine Rolle? Was soll ich da? Ich bin Goldschmiedin! Ich stelle an Metalle die Frage, ob sie in anderer Form neu scheinen können, neu erscheinen können. Und wenn ich einen Hut auf habe und mit schal rumlaufe, bin ich deshalb noch lange kein Künstler.
Liebe Adepten, wir kommen zum Schluss. Genießt die wahre Kunst. Genießt aber auch einfach die schönen Dinge des Lebens – die echten, ungeschminkten, unverfälschten Wesenszüge von Geschaffenem. Nicht das Aufgesetzte, nicht die Maske ist schön… Genießt vor allem die ehrlichen Menschen. Menschen wie unsere Stadtreiniger, die bescheiden und unaufgeregt dazu beitragen,Ulm zu dem zu machen, was es ist.

Liebe Adepten, schön, dass ihr da seid, schön, dass wir zusammen sind – lasst uns jetzt noch die Schwörmontagsnacht genießen und miteinander feiern! Und da Prinzessinnen sich manchmal auch etwas wünschen dürfen, wünsche ich mir heute, dass wir uns später, so gegen 4 Uhr früh, zahlreich auf dem Münsterplatz wiedersehen, wenn die Stadtreiniger auf’s Neue ihr Werk beginnen und wir dann gemeinsam Ulm von den Spuren unserer Feier be-freien und Platz schaffen, für neue Spuren. Ich danke allen die uns geholfen haben und euch fürs kommen.

Liebe Adepten, schön, dass ihr da seid, schön, dass wir zusammen sind – lasst uns jetzt noch die Schwörmontagsnacht genießen und miteinander feiern! Und da Prinzessinnen sich manchmal auch etwas wünschen dürfen, wünsche ich mir heute, dass wir uns später, so gegen 4 Uhr früh, zahlreich auf dem Münsterplatz wiedersehen, wenn die Stadtreiniger auf’s Neue ihr Werk beginnen und wir dann gemeinsam Ulm von den Spuren unserer Feier be-freien und Platz schaffen, für neue.

Ich danke Allen, die uns geholfen haben und Euch für’s kommen!

Musik zum Abstieg

Ehrenring für die Stadtreinigerin

„Sie erhält den Ehrenring mit Goldenem Kreuz für ihre liebenswerte Art, mit der sie, als erste Frau bei der Stadtreinigung eingestellt, ihren Reinigungswagen stets fröhlich und bürgernah durch die Ulmer Innenstadt schiebt. Aus der Ulmer City ist sie nicht mehr wegzudenken.“

Ira Dentler

Musik: Safran