Dentler-Preis an den Notfallseelsorger Helmut Schön

Ira Dentler besteigt den Thron vor der Goldschmiede im Ulmer Fischerviertel.

Es war einmal ein unscheinbarer Mann, zurückhaltend, schüchtern und doch zugleich außergewöhnlich. Er war anders als die Anderen. Viele Leute nannten ihn den Spinner oder den Verrückten. Er hatte 9 Geschwister und kam aus einer armen Künstlerfamilie.

Dieser schüchterne Mann war ein Goldschmied. Sein Name war Rudolf. Rudolf Dentler.

Er war so arm, das er einen Ring gegen eine warme Mahlzeit eintauschte. Ein Anhänger gegen eine warme Mütze. Das Silber dafür schenkte ihm sein Bruder. Dieser Bruder hatte als einziger aus der Familie einen anständigen Beruf gelernt – er war Polizist.

Er, der Goldschmied hatte seine kleine Werkstatt in einem alten Schuppen hinter dem Badehaus im Klosterhof von Blaubeuren. Ohne Strom und Heizung schuf er mit seinen eiskalten Händen die schönsten kleinen Kunstwerke. Das einzige was ihn wärmte, war sein Glaube an das Schöne. Das einzige was den Raum erhellte war ein Rubin, ein Abschiedsgeschenk seines Lehrmeisters.

Dieser Goldschmied wollte anfangs gar kein Goldschmied werden, er wollte ein Prediger sein, ein Mann der ganz oben auf einer Kanzel steht und den Leuten seine eigene Philosophie mit auf den Weg gibt. Der nicht reiche Goldschmied wurde eines Tages mit seinen außergewöhnlichen Werken wie aus Wunderhand nach England Zur großen Queen Mom eingeladen. Er wollte nicht länger im dunklen Schuppen sitzen, frieren und hungern.

Er heiratete ein kluge Frau aus gut bürgerlichem Hause. Sie war eine belesene Buchhändlerin. Es war die schöne Gisela, die schönste Gisela aus dem ganzen Schmiechtal. Mit ihr zog er in die große Stadt an der Donau,nämlich nach Ulm.

Auch Gisela wurde Goldschmiedin. Gemeinsam klopften und feilten sie nun an kleinen und großen Kreationen. Sie bekamen einen Sohn und eine Tochter. Der damalige Bürgermeister schätzte den aussergewöhnlichen Rudolf sehr und besorgte ihm eine Werkstatt im Ulmer Fischerviertel. Rudolf war sehr stolz auf sich! Er hat den Krieg als Panzerfahrer überlebt, und das Wirtschaftswunder unbeschadet überstanden. Er hat die garstige Nachbarin Frau Müller überlebt und hat die Gisela zu seiner Frau bekommen und mit ihr zwei reizende Kinder zu Welt gebracht. Nicht zuletzt hat er sich eine Werkstatt nach seinen Wünschen einrichten können.

Der stolze Rudolf sagte „jeder der in seinem Leben etwas geschaffen hat, auf das er stolz sein kann ist ein König. Sein eigener König!“ Er baute sich eine Krone um den Leuten diese einmalige Botschaft mitzugeben. Rudolf hatte viele Neider aber auch viele Bewunderer. Da der selbstgekrönte König immer schon Prediger werden wollte, baute er sich anstelle einer Kanzel einen Thron an die Hauswand seiner Werkstatt. Ab jetzt hielt der König einmal im Jahr eine philosophische Rede an seine Adepten. „Was der Bürgermeister kann, kann ich schon lange“ sagte Rudolf.

So gingen die Jahre ins Land und Rudolf Dentler musste ganz plötzlich seine schöne Welt verlassen. In seinem Nachtkästchen hatte er einen Zettel versteckt. Auf diesem stand: „Die ersten 10 Jahre nach meinem Tode wird die Tochter Ira die Thronrede übernehmen, wenn sie die 10 Jahre geschafft hat, kommt sie in den Himmel und ist eine echte Prinzessin. Wenn nicht, muss sie bis ans Lebensende eine Rede aus dem Kellerschacht von der Garstigen Frau Müller darbieten. Die weiteren Jahre gehören dem Sohn Timo und dann – könnt ihr machen was ihr wollt.“

Die schöne Gisela kommt sowieso in den Himmel, weil sie es so lange mit dem außergewöhnlichen König ausgehalten hat. Vor genau 10 Jahren ist der einzigartige König von Ulm gestorben. Und damit sie nicht gestorben sind….. schickte er uns noch eine kleine Prinzessin auf die Welt. Sie erblickte das Licht der Welt am 16. März 2016 und heißt Coco Lou Dentler. Damit sich die kleine Coco später nicht aus der Affäre ziehen kann, wird sie heute gekrönt. Und schließlich muss man ja nicht meinen, daß man einfach so in die Familie hineingeboren wird.

Verleihung Dentler-Preis 2016

Liebe Gäste und Freunde,

wie schnell doch die Zeit verfliegt. Nun ist es schon wieder ein Jahr her dass die Thronrede und Verleihung des Dentlerpreises von Ihnen gewürdigt wurde. Vielen Dank dass Sie uns die Treue halten.

Vor nun schon 10 Jahren wagte Ira sich auf den Thron, um mutig in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Sie hat ihre Sache großartig gemacht, mit Bravour gemeistert und uns noch so nebenbei eine kleine Thronfolgerin geschenkt. Die kleine Coco Lou. Und unsere Familie ist gewachsen. Ronald, der stolze Vater mit seinem ganzen Clan, der Familie Maxa, gehört jetzt dazu. Ich freue mich.

Die Zeit vergeht im Sauseschritt – und und schon möchte ich Ihnen den diesjährigen Preisträger vorstellen. Es ist Helmut Schön, Notfallseelsorger mit einem weiten Herzen, mit Mut zu ungewöhnlichen Schritten und zu Menschlichkeit.

Notfallseelsorge….. wenn ich ehrlich bin – für mich war das ein ganz abstrakter Begriff. Ganz klar, wenn ein plötzlicher Unfall oder Todesfall passiert, dann muss die Polizei die schrecklich belastende Aufgabe übernehmen und die Angehörigen benachrichtigen. Ich stelle es mir so vor: es klingelt, du machst die Türe auf, ein Polizist steht vor dir und sagt möglichst distanziert: „Ich muss Ihnen etwas sagen….“ Als mein Mann unerwartet im Krankenhaus starb war es ja ähnlich. Es klingelt,du nimmst den Hörer ab und hörst eine möglichst unbeteiligte Stimme: „Ich muss Ihnen etwas sagen“ Beide sind in dem Augenblick allein gelassen, der Überbringer der Nachricht und du. Wie schön wenn einfühlsame Verwandte und Freunde in der Nähe sind. Was aber wenn nicht?

Auch wenn mir jemand davon berichtet wie er oder sie in ein schreckliches Ereignis verwickelt war dann frage ich: „Wie bist Du damit fertig geworden? Wie hast Du das geschafft?“ Und dann kommt die für mich tröstende Antwort: „Ich hatte und habe seelischen Beistand. Alleine wird man damit nicht fertig.“ Das also leistet die Notfallseelsorge. Seit 1999 unterstützt ein gut geschultes Team die Rettungskräfte und die Angehörigen der Betroffenen. Das Team arbeitet mit der Ulmer Feuerwehr, mit Polizei und Rettungsdienst zusammen. Ein ökumenische Angebot der christlichen Kirchen. Das alles ausschließlich ehrenamtlich.

Hinter dieser nüchternen Erklärung stehen aber Menschen. Menschen wie Helmut Schön. Auf seinen Einsätzen bei muslimischen Familien hatte er die Idee einer Ausbildung muslimischer Ulmer für die Notfallseelsorge. Eine Idee zu haben ist das eine,-aber sie zu verwirklichen!!!!

„Man muss etwas tun ohne ohne zu fragen ob so etwas geht“ Und es ging.Mit großem Einsatz und großem Erfolg. 2014 haben zehn türkisch bosnische Mitbürger ihre Ausbildung als Notfallbegleiter abgeschlossen. Bundesweit einzigartig ist diese Viel-Religionen-Notfallhilfe. Sie zieht weite Kreise – weitere multikulturelle Seminare folgen. Dann kam eine neue Aufgabe hinzu. Im Oktober 2015 kam ein Hilferuf bei Helmut Schön an. „Kannst Du mit so viel Dolmetschern wie möglich in die Friedrichsau kommen. Wir erwarten viele viele Hunderte von geflüchteten Menschen, die begrüßt, betreut und organisiert werden müssen?“ Helmut Schön konnte. Mit Hilfe von guten Freunden und hilfsbereiten Ulmern. Es kamen Busse um Busse – ganze 14-voller hilfsbedürftiger Asylsuchender. Jeder einzelne wurde an der Bustüre mit „Salem Aleikum“ (Barmherzigkeit fängt bei der Sprache an) begrüsst, die Dolmetscher übernahmen die Registrierung, Soldaten kümmerten sich liebevoll und reichten Getränke. Wie schafft man sowas?

Es kommen ja keine „Flüchtlinge“ an, sondern 1000 Einzelschicksale. 400 Kinder waren dabei, viele schwangere Frauen, kranke, blinde verletzte Menschen. Sie waren verunsichert, verstört und verängstigt. 3 Kinder wurden geboren und als Ulmer registriert. Ein Tipp:-Sollte Ulm nicht die Patenschaft übernehmen?

Das Dolmetscherteam um Helmut Schön – etwa 50 – richtete Fahrdienste in die Kliniken ein, betreute die Hilfsbedürftigen unter Umständen Tag und Nacht. Nach 10 Tagen wurde eine Erstaufnahme in der Bleidornkaserne am Kuhberg geschaffen. Auch dort engagierte sich das Dolmetscherteam mit unermüdlichen Einsatz. Die Muslimische Hochschulgruppe schrieb am 4.November: „Nun sind die Dolmetscher auch in der Bleidornkaserne aktiv am Übersetzen bei den Ärzten, der Tagesbetreuung, dem Catering und der Security. In den Kliniken sowie den Heimen helfen sie so gut es geht aus. Das für Flüchtlinge zuständige Regierungspräsidium in Tübingen sprach vom Vorbildcharakter, vom Ulmer Modell.

Liebe Gäste, „es gibt Einzelschicksale von Tausenden, die wir im Bundesgebiet täglich erleben müssen. Doch der einzelne Mensch darf hinter den Ziffern nie vergessen werden“ so Helmut Schön. Mich erinnert das an Rupert Neudeck. Ohne eigenes Geld und ohne offiziellen Segen hat er 1979 zusammen mit Mitstreitern ein Schiff zur Rettung von Bootsflüchtlingen ins südchinesische Meer geschickt. Er hatte sich über Befindlichkeiten und Regularien hinweggesetzt. „Selbst anpacken und nicht erst lange auf den Staat warten“ war seine Devise. Gleich beim ersten Einsatz der Cap Anamur bekommt er den „heftigsten Anschiss seines Lebens“ weil er den gesamten deutschen Beamtenapparat umgeht.

„Es macht unheimlich viel Freude und deshalb mache ich es auch. Umgekehrt ist es viel anstrengender: Böse zu sein anstatt freundlich.“ Rupert Neudeck starb im Mai dieses Jahres. Er wurde 77 Jahre alt. Sein Vermächtnis Cap Anamour – Deutsche Notärzte lebt aber weiter.

Lieber Herr Schön, Sie haben bei uns in Ulm einen Samen gelegt der aufgegangen ist. Dafür bekommen Sie – stellvertretend für die vielen anderen – den Dentlerpreis mit goldenem Kreuz 2016.

Menschen kommen, Menschen gehen. Auch geht unser Kopf der Werkstatt, die Jenny. Sie hat mit Bravour die Gesellenprüfung bei uns absolviert und nicht nur das, sie hat von der Mülltonne bis hin zum letzten Fitzelchen Silber, das ausgegangen ist, mitgedacht. Sie hat die Kundenkartei auswendig im Kopf und sie versteht es im Laden für jeden Kunden ein Ohr offen zu haben. Geduldig legt sie mir bis zu 5mal den gleichen Zettel hin und tut immer so, als wäre er gerade neu dazu gekommen.

Unser Kopf geht nun in die grosse weite Welt studieren. Dabei Wünschen wir Ihr nur das Beste! Aber Bedingung ist, dass Du, Jenny, mindestens einmal im Jahr den Laden wieder auf Vordermann bringst und nachguckst, ob noch Milch im Kühlschrank ist.

Hiermit bedanken wir uns bei all den tollen Helfern, Charly Rehm, der Band „Wir Vier“ und ganz besonders euch für die 10 Jährige Treue. Vielleicht sieht man sich mal wieder!

Nicht vergessen, nächstes Jahr steigt mein Bruder auf den Thron.

Ira Dentler