Thronrede 2015

Dentler-Preis an Ruth Höhn „Ruthle“, Frau für alles „Ulmer Münster, Vesperkirche“

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

es ist an der Zeit. Zeit auf Wiedersehen zu sagen. Zeit für einen Neubeginn. Niemals zuvor war ein Bürgermeister in Ulm so lange in seinem Amt, wie der jetzige. Niemals stand Ulm wirtschaftlich besser da, wie in den letzten Jahren. Ein bürgernaher Bürgermeister verlässt sein Amt.

Und was wollen wir in der Zukunft? Wollen wir einen Bürgermeister, der Ulm wieder zu dem macht was es einmal war? Oder aber ist es gut so wie es ist? Ulm, die ehemalige Hochburg der Kunst. Wo ist das alles hin? Ulm, die Stadt der Handwerkszünfte, der kleinen und besonderen Läden. Macht Kultur eine Stadt nicht attraktiver? Was ist mit unserem Theater? Wollen wir ein gutes Theater, ein schlechtes oder gar kein Theater? Theater erfüllt einen wichtigen Bildungsauftrag. Es soll ein Versammlungsort sein, ein Ort für Emotionen in unserer kontrollierten Welt. Theater kann Perspektiven öffen, Denkanstöße geben oder Bewegung bringen. Das Theater kann die Welt als veränderbar darstellen. Schon beim vorbei fahren an unserer Kunststätte, denkt man eher an eine kurz vor dem Abriss stehende Tragödie. Ein Theater muss etwas Festliches haben von innen wie von außen und es muss die Leute fesseln. „Stadt“ – was ist das eigentlich? Von was reden wir, wenn wir „Stadt“ sagen? Was macht den Reiz und die Qualität von einer Stadt aus? Eine Stadt ist bunt, dreckig, staubig, laut und voller Träume. Manch ein Stadtmensch träumt von einer sauberen Innenstadt UND von belebten Gassen – manch einer träumt auch von ruhigen Gassen, und wir träumen von Kultur: Handwerkskultur, Theater-, Musik- und Kunstkultur und einer Kultur der BUNTEN – nicht dreckigen – Gassen UND von Grünflächen. Ein Baum nach dem anderen musste weichen und somit auch der Unterschlupf für viele Vögel, Bienen und Schmetterlinge. Wenn ihr an unser Stadtzentrum denkt, fällt euch vielleicht auf, dass man dort so gut wie keine Grünfläche sieht. Das einzige Grün, was einem manchmal ins Auge fällt, sind Pflanzenkübel mit Olivenbäumen oder nichts sagendem Bux. Jeder will die Grüne Welle, aber nicht den Grünen Baum an der Straße. Der diesjährige Dentlerpreis geht an eine Person die zwischen vielen Pflanzen und Natur arbeiten darf. Der Preis wird bei euch unten durch meine Mutter Gisela Dentler Übergeben.

Verleihung Dentler-Preis 2015

Liebe Gäste,

Sie waren noch nie im Regenwald? Dort wo es statt Jahreszeiten Regenzeiten gibt? Sie möchten einmal durch Lianen, Farne, Bromelien schlendern, tropische Blüten in ihrer natürlichen Umgebung bewundern? In eine Welt voller Geheimnisse eintauchen?

Oder lieben Sie diese Magerwiesen der Schwäbischen Alb? Sie sind auf der Suche nach den Pflanzen Ihrer Kindheit? Nach all den Winzlingen von Pflanze, dem Augentrost dem Thymian, dem Zittergras den Orchideen dem Enzian? Dieser ganz besonderen Märchenwelt voller intensiver Sommerdüfte? Sie möchten einen Apothekergarten studieren oder noch einmal die Dreifelderwirtschaft entdecken? Sie vermissen die bunten ungedüngten Wiesen? Kurz, Sie möchten am Besten: die Tropen vor der Haustüre, die Almwiesen vor Ort, den Bauerngarten gleich nebenan und im Rosarium den Abend genießen ohne einen Finger rühren zu müssen?

Aber na klar, geht doch! Nehmen Sie den Bus 48 und steigen Sie an der Haltestelle „Schießstände“ aus. Dann noch kurz durch ein Tor und Sie sind im Paradies. Und das Beste: alles kostet nichts! Spätestens jetzt sind Sie in einer anderen Welt. Kleine Wege führen durch verwunschene Ecken, in dieser Jahreszeit blüht es überall, Bienen summen,Hummeln torkeln, Schmetterlinge gaukeln von Blüte zu Blüte. Es kreucht und fleucht allenthalben. Es duftet nach Sommer. Wälder Gärten und Wiesen wechseln sich ab, jede Biegung des Pfades bringt eine neue Überraschung.

Eine Schar Kinder begegnet Ihnen vielleicht am Teich. Sie kommen bestimmt aus dem grünen Klassenzimmer. Dort entdecken sie mit Herrn Drissner die spannenden Lebensräume unserer Natur. Ab und zu ein Jogger, hin und wieder ist eine der Bänke und Liegen besetzt! Und immer wieder fleißige Hände die gärteln und pflegen. Eigentlich dürfte ich diese Oase der Ruhe, dieses Mit-sich-in-der-Natur sein nicht weiterempfehlen. Sie liebe Gäste, wissen schon längst wovon ich träume – es ist der Botanische Garten der Universität Ulm.

Und wir möchten Frau Monika Gschneidner ehren. Sie ist seit über 25 Jahren dort Kustodin. Schon ganz in den Anfängen hat sie sich der Aufgabe gestellt aus diesem 28 Hektar großen Stück „garnichts“ einen blühenden Garten zu machen. Damals gab es lediglich zwei Gewächshäuser und einen Bürocontainer, ein großes Stück genial modellierte Landschaft, viel Wald und Wiese mit einem Zaun drumrum. Das muss nicht leicht gewesen sein. Die Uni Ulm war im wachsen doch bei der Botanik tat sich erstmals garnichts.

Frau Gschneidner, als ich Sie fragte was denn eine Kustoden ist haben Sie schmunzelnd erklärt: eine Kustodin ist die Hüterin der Sammlungen und fügten hinzu: …das ist die, die am längsten da ist. Ja, soviel Ausdauer ist sicher nötig um all den Aufgaben gerecht zu werden, den Überblick zu behalten, das Ziel der Anfänge nicht aus den Augen zu verlieren. Dieser „unserer“ botanische Garten muss verschiedene Aufgaben unter einen Hut bringen. Da ist erst einmal die Lehre und Forschung in der Botanik der Uni Ulm. Am Besten, Sie hier alle googeln einmal. Sicher möchten Sie gleich Student sein. Die Botanik und Forschung geht heutzutage neue Wege. Gelder müssen neu verteilt werden. Für den Garten-den zweitgrößten Park von Ulm-ist das hart. Gottseidank gibt es begeisterte Helfer, Sponsoren,engagierte Professoren und die Freunde des Botanischen Gartens-etwa 500 Mitglieder stark. Außer Lehre und Forschung hat der botanische Gartenaber noch gesellschaftliche Aufgaben: Damit sind wir Bürger gemeint! Gehen Sie liebe Mitbürger offenen Auges durch diese Landschaft.

Wieviele Pflanzen Tiere und Lebensräume sind uns schon verlorengegangen. Wieviele Kinder und Jugendliche haben noch Gelegenheit unsere Natur und Ökologie näher kennen zu lernen. Wieviele unserer natürlichen Lebensräume zerstören wir durch sterile Gärten und pflegeleichtem Rasen. Nach einem Spaziergang durch dieses botanische Paradies, nach dem Besuch einer der vielfältigen Veranstaltungsangebote – wie gesagt, auch diese kostenlos, legen Sie gleich los: Urban Gardening ist angesagt, in Stuttgart funktioniert das Bestens. In Berlin sowieso. Und wir sind doch auch eine globale Stadt! Jede Hauswand,jeder Wegsaum jedes Garagendach bietet Gelegenheit den Wildkräutern – dem Unkraut also- eine Nische zu bieten. Bauen Sie Brücken für Insekten und Pflanzen durch unsere immer mehr zubetonierten Lebensräume. Nehmen Sie auch den Schlüsselsatz mit auf den Weg, welcher vor vielen vielen Jahren Frau Gschneidner bewogen hat nicht aufzugeben. Loki Schmidt war es, die im Anfangschaos der Botanik in Ulm lakonisch meinte: „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“. Das war vor cirka 25 Jahren. Das Ergebnis kann sich sehen lassen!

Liebe Kustodin Monika Gschneidner, die Art wie Sie über Ihre Arbeit über die Forschungsprojekte, die Botanik mitsamt ihrer Geschichte und Geschichten erzählen, wenn Sie nur so sprudeln von Visionen und Plänen und vor lauter Begeisterung nicht merken wenn die kurz bemessene Zeit für Ihre Führungen abgelaufen ist… dann wissen wir das Loki recht hatte: wo ein Wille ist da ist auch ein Weg. Sie zeigen uns auf dass dieser Garten nicht nur ein schöner Ort für Träumereien ist. Er nimmt uns auch in die Pflicht achtsamer mit der so kostbaren Natur um uns herum umzugehen. Und er schenkt uns Ulmern ein wenig Bewußtsein dass hier ein Stück Landschaft ein Bindeglied der Universität mit der Stadt Ulm ist.

Liebe Frau Gschneidner – für Ihr besonderes Engagement überreichen wir Ihnen hiermit den Dentler-Preis, den Ehrenring mit goldenem Kreuz.

Aber nun nochmal zurück zum Bürgermeister, was ist es was wir in Zukunft wollen? Was macht eine Stadt lebenswert?

Stadtatmosphären üben einen ganz besonderen Reiz aus. Es fasziniert, wie schnell man eine Atmosphäre in einer Stadt wahrnehemen kann. Aber dann zu bestimmen woran sich eine Atmosphäre festmacht ist schwieriger. Jede Stadt, sogar jeder Stadtteil hat zum Beispiel einen eigenen Geruch, eine Identität: Die Weststadt riecht nach Essen, Weichspüler und Wäschetrockner -hier wohnen viele Kinderreiche Familien. Der Michelsberg hingegen riecht nach Putzmittel und kölnisch Wasser. In der Neuen Mitte riecht es nach Benzin, Diesel und Geld. Die Oststadt riecht noch ein wenig nach Kachelöfen und alten Kellern. Leider riecht es in der Innenstadt nicht mehr nach dem kleinen Pralinenladen oder nach dem herrlichen duft der alt eingessenen Konditorei in der Hirschstrasse. Auch der Duft von Papier und Büchern ein Stück unterhalb ist verschwunden. Anstattdessen soll es dort bald nach weiteren klamotten riechen.

Nach wie vor bin ich der Meinung, dass es die kleinen Handwerks- und Spezialität-Läden sind, die eine Sadt ausmachen. Das drückt Wertschätzung für Handwerkskunst und Qualität aus und gleichzeitig Bewusstsein für Zeit und menschlichen Kontakt. Wer um himmelswillen braucht diese riesigen fehlplatzieten Bauten? Städtebaulich ist Ulm auf dem besten Weg sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Schon jetzt runzeln viele Besucher mit der Stirn. Lasst uns unsere restlichen Grünflächen bewahren. Urbanes Grün macht unsere Stadt attraktiever und lebenswerter. Stadtgrün reguliert die Temperatur und reinigt die Luft. Da immer mehr Menschen in der Stadt leben wollen, nimmt die Bedeutung einer „Grünen Infrastruktur“ zu. Liebe Ulmerinnen und Ulmer, überlegt gut wen ihr wählt, überlegt was Ulm braucht. Ich wünsche mir von dem nächsten Bürgermeister, dass er mehr auf das Kleine schaut. Ich wünsche mir auch, dass unser Ulmer Theater wieder an Wert gewinnt. Nur ein Bürgermeister der Kunst lebt und liebt kann seine Stadt darin bestärken.

In diesem Sinne ist alles gesagt. Wir sehen uns im nächsten Jahr!

Danke an unsere Haus und Hofband Al Jovo und Lea an unseren langjährigen Haustechniker Charli Rehm und all die vielen Helfer. Natürlich auch an euch. Und nicht vergessen: Wenn einer blau ist, redet er gerne das Grüne vom Himmel.

Ira Dentler

Musik: AL JOVO & LEA